Ural Owl by Ingmar Muusikus

Estland – ein führender Bewahrer des europäischen Naturerbes

Estland ist relativ klein, etwa so groß wie Dänemark oder die Niederlande, aber mit 1,3 Millionen Einwohnern nur ein Bruchteil der Bevölkerung dieser Länder. Ein Großteil des Landes ist mit Wald bedeckt oder mit riesigen Mooren, die nicht für die menschliche Besiedlung geeignet sind, aber viel Raum für die Tier- und Pflanzenwelt lassen! Hinzu kommt eine stark gegliederte Küste, mit mehr als 1500 Inseln.

Schon seit Jahrhunderten haben sich die Menschen in Estland mit der Natur auseinandergesetzt, es lernten sie zu nutzen aber auch zu schützen. Seit langer Zeit wissen sie um den Zusammenhang einzelner Ökosysteme in den verschiedensten Naturräumen.

Schon Anfang des 20. Jahrhunderts fingen einige Naturliebhaber an, nicht nur Vögel an sich zu schützen, sondern auch deren Brut- und Nahrungsgebiete zu erhalten. So wurden kleine Inseln vor der Westküste Estlands kontinuierlich zu Nationalparks und Naturschutzgebieten erweitert. Hinzu kam der Schutz von Solitärbäumen, Sumpflandschaften, Orchideenwiesen, Taiga-Wäldern und eiszeitlichen Seen. In der Tat ist Estland eines der wenigen europäischen Länder, das von Anfang an den Zusammenhang zwischen den Arten und ihren Lebensräumen erkannt und danach seine Schutzbemühungen ausrichtet hat.

Estland ist neben Litauen und Lettland der nördlichste baltische Staat. Im Norden trennt der finnische Golf das Land von Finnland. Im Süden grenzt Lettland an und im Osten liegt Russland. Ein Großteil der russischen Grenze verläuft durch den riesigen Peipussee – Estlands größten See. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt rund um die Hauptstadt Tallinn und die drei anderen Städte: Tartu, Narva und Pärnu.

Vogelbeobachtung -Highlights

In Estland sind bisher 368 Vogelarten registriert worden, davon 220 als Brutvögel.

Zu den Highlights zählen:

  • Rohrdommel, Grau- und Silberreiher, Weiß- und Schwarzstörche
  • Kranich, Wachtelkönig, Tüpfelsumpfhuhn
  • Säbelschnäbler, Goldregenpfeifer, Temminckstrandläufer, Bekassine, Doppelschnepfe, Pfuhlschnepfe, Dunkler Wasserläufer, Odinshühnchen, Thorshühnchen
  • Steinadler, Schrei- und Schelladler, Habicht, Wiesen-, Korn-, und Rohrweihe, Fischadler, Seeadler
  • Haselhuhn, Birkhuhn, Auerhuhn
  • Zwerg- und Singschwan, Samt- und Trauerente, Eisente, Zwergsäger, Schellente, Spießente, Pfeifente, Löffelente,
  • Saat-, Bläss-, Kurzschnabel- und Zwerggans. Auch Ringel-, Brand-, Rothals-, Weißwangen- und Graugans
  • Gelbschnabeleistaucher, Stern-, und Prachttaucher, Hauben-, Zwerg-, Ohren- und Rothalstaucher
  • Sperlingskauz, Habichtskauz, Raufußkauz, Sperbereule und Bartkauz.
  • Dreizehen-, Schwarz-, Grau- , Klein-, Bunt-, Mittel- und Weißrückenspecht, Wendehals
  • Nordischer Kleiber, Fichten- und Kiefernkreuzschnäbel, Heidelerche, Zitronenstelze, Sperbergrasmücke, Grünlaubsänger, Wiesen -und Strandpieper, Buschrohrsänger, Buschspötter, Blaukehlchen, Sprosser, Pirol, Steinschmätzer, Trauer- und Zwergschnäpper, Beutelmeise, Rotrücken- und Raubwürger.

Wasservögel auf dem Durchzug

Estland ist ein europäischer Kreuzungspunkt für arktische Wasservögel, die entlang der Ostatlantik-Zugroute fliegen. Etwa 50 Millionen Wasser- und Watvögel werden von den großen estnischen Küstengebieten angezogen. Viele dieser Vögel verweilen einige Zeit, um sich Nahrungsreserven für ihren langen Flug zu den Brutplätzen der russischen Arktis anzufressen. Der Höhepunkt liegt in der Regel in den ersten zwei Wochen im Mai. Dann wimmelt es in allen kleineren und größeren Buchten des estnischen Inselarchipels nur so von Tauchern, Enten, Gänsen und Schwänen. Das größte Küstenfeuchtgebiet in Estland ist Matsalu. Es handelt sich hierbei um eine Bucht des Flusses Kasari, der im Laufe der Jahrhunderte ein großes Delta geschaffen hat, in dem sich heute eine sehr abwechslungsreiche Landschaft aus Schwemmland, Inseln, bewaldeten Wiesen und dem größten Schilfgebiet des Ostseeraumes ausbreitet.

Während des Frühjahrszuges passieren mehr als zwei Millionen Wasservögel, vor allem Eisenten und arktische Tauchenten (Trauer- und Samtenten), den im Jahre 1957 gegründeten Nationalpark. Fast die gesamte Winterpopulation des Zwergschwans in Estland – etwa siebzehntausend Vögel – verbleibt im Bereich des Matsaludeltas – zusammen mit etwa 50.000 Weißwangengänsen und mehr als 10.000 Saat- und Blässgänsen. Auch tausende Kraniche, die sich tagsüber auf den Feldern aufhalten, übernachten im geschützten Feuchtgebiet.

Landschaften

Natürliche, nicht geregelte Flüsse und Auen

Anders als Westeuropa, sind Estland Flüsse in der Vergangenheit kaum verändert worden und in ihrer natürlichen mäandrierenden Form erhalten geblieben. So sind Flüsse wie der Kasari und Emajõgi (im Alampedja Naturschutzgebiet) und ihre umliegenden Auenlandschaften wertvolle Lebensräume für verschiedene Vogelarten wie Wachtelkönig und Doppelschnepfe, Schrei- und Schelladler, Weiß- und Schwarzstörche.

Wiesen und Weiden

Es handelt sich hierbei um parkähnliche, zeitweilig vom Menschen extensiv genutzte Wiesen, die in Estland die höchste biologische Vielfalt aufweisen. Nach Einstellung der Nutzung sind viele Wiesen verbuscht und bewaldet. Mit verschiedenen Rinderrassen und mit traditionellen Bewirtschaftungsmethoden wird gegenwärtig versucht diese Landschaften wiederherzustellen. In einigen Gebieten zeigt der hohe Aufwand Erfolg und einstmals verschwundene Tier- und Pflanzenarten kehren wieder zurück.

Ein Schlüssel für die außergewöhnlich hohe Florenvielfalt der estnischen Westküste und der Inseln sind die Kalksteinböden, auf denen hunderte Pflanzenarten vorkommen. So wurden auf einer Wiese in Laelatu 76 verschiedene Gefäßpflanzen auf einem Quadratmeter festgestellt. Sie gehört damit zu einer der vielfältigsten Pflanzengemeinschaften in Europa. Eine pflanzensoziologische Besonderheit Westestlands und insbesondere der Insel Saaremaa sind die Alvaren – Kalksteinfelsen mit nur einer dünnen, sehr wasserdurchlässigen Humusschicht und einem fast steppenartigen Charakter. Die spezifischen Pflanzenarten haben sich den, insbesondere im Sommer sehr trockenen Verhältnissen hervorragend angepasst. Nur auf den schwedischen Inseln Öland und Gotland gibt es vergleichbare Flächen.

Wildreiche Wälder

Die Hälfte Estlands ist mit Wald bedeckt. Das Land liegt in einer Übergangszone mit Nadelwäldern, die der sibirischen Taiga entsprechen und europäischen Laubwäldern aus Linde, Eiche und Ulme. Im Zuge der Waldmehrung und Waldumwandlung in den letzten Jahrhunderten sind allgemein Fichte und Kiefer bevorzugt worden, so dass diese beiden Baumarten einen hohen prozentualen Anteil einnehmen. Die Bewirtschaftung der Wälder wurde in Estland allerdings weniger intensiv betrieben, als in Westeuropa, so dass sie für eine Vielzahl von Wildtieren günstige Bedingungen erhalten blieben. Die große Zahl an Großraubtieren, mit mehr als 150 Wölfen, 700 Luchsen und 550 Braunbären zeigen den Reichtum und das ökologische Potenzial der estnischen Waldökosysteme.

Eine lange und interessante Küste

Die estnische Außenküste ist mit 3.794 km nicht nur lang (dazu kommen 2.540 km Küstenlinie entlang der mehr als 1.000 Inseln), sondern auch geologisch sehr vielgestaltig. Sie unterscheidet sich mit dem anstehenden Glintgestein auch deutlich von der rauen Granitküste des nördlichen Nachbarn Finnland und den geraden Sandstränden Lettlands im Süden. Vielfach hebt sich das Land, als Folge der letzten Eiszeit weiter aus dem Meer. Dabei entstehen neue Feuchtgebiete, flache Buchten und Lagunen, Strandwiesen und Wattflächen. Die unmittelbare Küstenzone ist gesetzlich geschützt um negative Entwicklungen vorzubeugen. Die Kegelrobben lieben ungestörte Küsten. Rund ein Fünftel der geschätzten 7500 Ostseekegelrobben halten sich in der Regel in der Nähe der geschützten estnischen Meeresufer auf. An milden und eisfreien Wintern gebären viele Ostseekegelrobben auf kleinen Inseln des estnischen Archipels. Gleichfalls die Ringelrobben, die in den estnischen Gewässern, die zur südlichsten Population im Ostseeraum gehören.